Der Tag der niemals kommen soll

8. September, ihr Todestag. Globulis von meiner Hebamme, ich war aufgeklärt worden, dass man danach eine natürliche Geburt einleiten würde. Das wäre wichtig für die Verarbeitung. Leere Worthüllen, liebgemeinte Worte vor der Abfahrt, Hund zu meinen Eltern, Organisation mitten in der Sinnlosigkeit... Die Fahrt dahin wollte ich mit meinem Gefühl nochmal ganz nah bei unserem Goldstück sein. Ich erklärte ihr, dass ich sie über alles liebe, diesen Schritt bei der kleinsten Hoffnung auf ein Leben niemals gehen würde, aber sie alleine von den Organen her keine Chance hatte, niemals gehabt hat.
Dann kamen wir endlich an. Anmelden am Empfang, die Sekretärin fragte uns ob es denn keine andere Lösung gäbe.... Ich lachte bitter. Als ob ich diesen Weg gehen würde wenn es eine Lösung geben würde...
Man brachte meinen Mann und mich auf die Schwangeren-Station, überall Leben, überall Glück, ich war so neidisch...
Wir mussten warten, Stunde um Stunde, es war warm draußen, der Sommer bäumte sich nochmal auf und zeigte was er kann. Draußen im Park, wir hatten beide Hände an meinem Bauch, ich summte die Melodie die ich ihr als Schlaflied immer gesungen hätte. Abschied, warten auf den Tod, anders kann man es nicht beschreiben und trotzdem habe ich es nicht als schrecklich in Erinnerung, es war schön. Ich wurde ruhiger, gefasster, es war in Ordnung, ich ließ los.
Dann um halb neun Uhr abends mussten wir runter, nie war ein Weg makaberer.
Ultraschall, ihr Herzchen schlug, wenn auch sehr langsam, Beckenendlage, sie hatte es nicht geschafft sich zu drehen. Mein Mann legte sein Gesicht an meins, seine Arme fest geschlungen um meinen Kopf. Er weinte, ich starb innerlich mit, fühlte emotional nichts mehr, keine Tränen.
Der Stich, es tat weh, ich merkte wie sie mit der dicken Nadel in mir rumbohrten, ich merkte sie als sie das Herzchen meines Goldstücke fand, darauf hatte einen niemand vorbereitet. Ich wollte, dass es ein Ende hat und grade als ich flüsterte, dass ich nicht mehr könne, drückte mir einer der zwei Ärzte die Hand:"Es ist vorbei.".
Zu meinem Mann hieß es, er solle auf mich aufpassen, viele Frauen würden sich danach umbringen, ich zog ihn am Ärmel wieder zu mir, er hatte grade seine Tochter verloren, was dachte der Arzt sich nur bei dieser Aussage in ausgerechnet diesem Moment?
Ich wartete bis ich aufstehen konnte, ich dachte bis davor, dass es das schlimmste wäre ein totes Baby in sich zu haben, aber das war es nicht. Es war immer noch mein Baby, ich hatte sie noch, es gab keinen wirklichen Unterschied.
Wieder auf dem Zimmer, schlief ich schnell ein. Da war nichts von alledem, was ich dachte fühlen zu müssen, ich war ruhig.
Der nächste Morgen war ebenfalls in Ordnung, ich schaffte es sogar zum ersten Mal seit Tagen zu frühstücken. Es ging voran, die endlose Schleife aus Ohnmacht und Trauer war durchbrochen.
Um halb neun Uhr morgens wurde mit einer vor den Muttermund platzierten Tablette eingeleitet. Normalerweise würde mit einer Viertel Tablette begonnen, wenn das Kind noch leben würde aber man bräuchte ja keine Rücksicht mehr nehmen, ich hätte eine halbe bekommen. Es wäre ein off-use Label. Nicht dafür gedacht, aber perfekt dafür gemacht, ein Mittel gegen Darmkrebs. In 4 Stunden bekäme ich die nächste, so eine Einleitung könne sich über 5 Tage hinziehen.
Nicht mit mir! Heute abend wäre ich hier raus, nicht noch eine Nacht unter glücklichen Müttern, nicht noch eine Nacht ohne Hund. Um zehn wurde mir kalt, ich fror, ich übergab mich, ich hatte Wehen. Die Stationsschwester  glaubte mir nicht, so schnell würde es nicht gehen.
Ich rief meine Hebamme zuhause an. Ich kniete auf dem Boden und schrie ins Kopfkissen mit jeder Wehe, das Zimmer war zu klein um sich zu bewegen. Meine Hebamme atmete mit mir, wollte dann meinen Mann sprechen, ich müsse dringend in den Kreißsaal, ihr wäre egal was die Stationsschwester sagt, er solle mich dort hinbringen lassen.
Dort angekommen dachte ich bereits ich müsse sterben vor Schmerz, das Mittel wirkte viel zu stark, Schmerzmittel hingegen gar nicht. Infusion, PDA, Lachgas, Rauschnarkose. Zwei Minuten Wehen, Fünf Sekunden Pause. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr alleine halten, nicht sprechen, nur schreien. Ich hörte alles, konnte mich aber nicht mehr artikulieren. Zu viel von allem. Und plötzlich war alles vorbei. Um 15:29 war sie da. Die Liebe meines Lebens, mein erstes Kind, meine Tochter, unser Goldstück. Mit einem Mal war alles ruhig, kein Schmerz mehr, ich war schlagartig klar im Kopf. Nie zuvor war ich so stolz, so glücklich. Ich wiegte meine Kleine im Arm, sie war perfekt. Sie hatte die Lippen und Nase ihres Papas, ich gab ihr kleine Küsse, zog sie an, so perfekt.
Äußerlich so perfekt, ihre Haare, sie sah aus als würde sie schlafen und insgeheim hoffte ich es wäre nur ein böser Traum und sie würde gleich aufwachen.
Mein Mann, der vor der Geburt dachte, er könne es nicht, nahm sie zärtlich in seine Arme, wir machten Fotos mit der Handykamera. Sie machte uns zu einer Familie.
Ich hätte sie für immer anschauen können, wäre ich in diesem Moment gestorben, hätten wir für immer so dasitzen  können. Ich war Mama, ich fühlte mich wie ein Bär. Ich lachte, war stolz, zufrieden.
Die Hormone machten es gleichgültig, dass unser Schatz nicht lebte, nur mein Mann weinte, ich hätte ihm so gerne etwas von meinem Glücksgefühl abgegeben.

Ich weiß nun, warum Frauen wieder Kinder bekommen nach ihrem ersten. Die Geburt ist das Schlimmste, aber sobald dein Kind da ist speichert man nur das Glück danach ab. Auch für mich ist der Gedanke daran schön, voller Liebe und nicht schmerzhaft oder schlimmeres.
Ich habe mich während der Geburt auch nochmal neu in meinen Mann verliebt. Stunde um Stunde hielt er meinen Kopf obwohl ich schrie wie am Spieß, er war da, gab mir Kraft und ich weiß bis heute nicht woher er die Kraft für all dies nahm. Ich bin ihm so unendlich dankbar und unsere Beziehung hat eine völlig andere Qualität bekommen.
Er war es auch der den richtigen Zeitpunkt fand, damit ich gehen kann. Alleine hätte ich unsere Tochter nie wieder hergegeben, Göttergatte halt...






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